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Reader: First Cyberfeminist International

Yvonne Volkart

Hybrid Workspace, Kassel, 20.-28. September 1997

Wer meint, mit dem neu erschienen Reader "First Cyberfeminist International" endlich Antworten zu bekommen auf die brennenden Fragen, was Cyberfeminismus eigentlich ist, worin er sich genau von anderen vergangenen und neu kursierenden Feminismen unterscheidet und was die konkreten cyberfeministischen Ziele sind, sieht sich getäuscht. Dieser Reader fasst vorerst das vom 20. bis 28. September 1997 im Hybrid Workspace anlässlich der Documenta X in Kassel stattgefundene Treffen von beinah 40 Cyberfeministinnen aus 12 Ländern, das gleichnamige "First Cyberfeminist International" in seiner kontroversen Vielstimmigkeit zusammen. Auf über 80 Seiten und mit nochmals so vielen URLs liefern die beteiligten Künstlerinnen, Theoretikerinnen, Aktivistinnen, Webdesignerinnen u.a. in Form von Text- und Bildbeiträgen nicht nur einen sehr guten Einblick ins Thema, sondern demonstrieren quasi unmittelbar, dass diese "Bewegung" in Bewegung ist - offen für Neues, pluralistisch und voller ironischer, z.T. auch nicht unproblematischer Utopien. Und Mythen. ZB. über die Entstehung des Begriffs: "In 1991, in a cosy Australian city called Adelaide, four bored girls decided to have some fun with art and French feminist theory. Creating themselves as a mini corporation, VNS Matrix, they made their first text/artwork ÔA Cyberfeminist manifesto for the 21st Century'; with homage to Donna Haraway they began to play around with the idea of cyberfemnism", schreibt Julianne Pierce von der sich sich mittlerweile aufgelösten Künstlerinnengruppe VNS-Matrix. Zur selben Zeit kreierte in England die feministische Kybernetik- und Kunsttheoretikerin Sadie Plant, heute nebst Haraway und Rosi Braidotti eine Ikone des Cyberfeminismus, dasselbe Wort.
In Kassel, dessen Besetzung aufgrund eines in verschiedenen mailinglists publizierten call-for-contribution-Aufrufs zustande kam, fehlten diese Cybergöttinnen-Namen, und das macht die Sache spannend, weil es den Eindruck erweckt, als ob sie von unten, aus einem Bedürfnis heraus entstünde. "Feminism's heritage is our life-blood, but ist institutionalization in public life and in the academies makes it inaccessible to most women today [...] We have to find new strategies for political action", schreibt die Herausgeberin und Mitglied des Organisationsteams Old Boys Network (obn) Cornelia Sollfrank im Editorial. Dass allerdings viele Cyberfeministinnen offen oder im Unterton auffallende Skepsis gegenüber dem Feminismus anmelden und eher mit der Vorsilbe ihres Markennamens sympathisieren, hat wahrscheinlich weniger mit einer sogenannten "Institutionalisierung" des Feminismus (was anzuzweifeln ist, auch wenn Feminismus heute wahrscheinlich am ehesten universitär in Form von gender studies gelehrt und gelebt wird) zu tun, als vielmehr mit den üblichen uneingestandenen Ängsten vor Desavouierung, der unhinterfragen Übernahme hegemonialer Darstellungen des Feminismus (als unsexy und technikfeindlich) und der damit verbundenen Internalisierung des Glaubens, dass der feministische Kampf gewonnen, mithin obsolet sei. Als Ausweg aus dem Dilemma, dass man auch als (Cyber-)Frau tagtäglich Sexismen ausgesetzt, in der "frigiden Emanze" aber kein Identitätspotential orten kann, bietet sich für viele die lustvoll fliessende und verschaltete Cyberfeministin an, deren Image vorerst eher einem neuen Label als einer politischen Waffe gleicht. Die politischen Strategien heissen denn oft auch, mit Referenz auf die grrrl's Codes, Ironie, Parodie, Hacking oder sogar Kunst, alles Wörter, die von einer gewissen Privilegierung zeugen: der, drinnen zu sein, dazuzugehören zum grossen Kreis der elektronisch Angeschlossenen und ästhetisch Geschulten.
Die Beiträge im Reader zeigen aber ganz deutlich, dass diese Gruppe keineswegs homogen ist, auch wenn ihr Gemeinsames darin besteht, dass sie den Umgang mit neuen Technologien utopisch mit der Hoffnung nach einer neuen Frau und einer neuen Welt verbinden. Dass es der ersten cyberfeministischen Internationale gelang, Technoaffektionierte mit einem geringen Grad an frauenpolitischem Bewusstsein mit solchen mit einem differenzierten zu verbinden, macht unter anderem gerade deren Virulenz aus. So hält sich hartnäckig die legitimationsheischende Fehldarstellung (zB. bei Barbara Rechbach oder Julianne Pierce), dass Feministinnen technikfeindlich und erst die Cyberfeministinnen einen positiven Bezug zur Technologie hätten ohne dezidierte Gegendarstellung aufrecht. Dem ist entgegenzuhalten, dass der Beginn der neuen Frauenbewegung nicht nur zufällig mit der Entwicklung der Videotechnologie anfangs der 70er Jahre zusammenfiel, sondern dass sich damals schon auffallend ähnliche Hoffnungen an das neue Medium knüpften, wie sie heute von der Cybergeneration zu hören sind. Faith Wildings "Notes on the Political Condition of Cyberfeminism" oder Verena Kunis "The Future is Femail" sind allerdings nicht nur gute Beispiele für eine differenzierte historische Einbettung und theoretisch-kritische Auseinandersetzung mit dem Begriff, sondern insbesondere Wildings Text formuliert auch mögliche politische Ziele, etwa Kritik am Technohype und Kampf den sozialen Bedingungen, wie sie der steigende Markt hervorbringt. Sehr gut ist auch ihr Interview mit Vesna Jankovic, einer Zagreber Aktivistin und der Direktorin von Arkzin, einem Anti-Kriegs-Magazin, wo klar wird, dass cyberfeministische Ziele nicht nur ästhetische Parodien oder symbolpolitische Events, sondern auch ganz konkrete Kämpfe, etwa für die Legalisierung der Abtreibung sind. Die Kriegserfahrungen erwiesen das Medium Internet als "really strong political tool" von Gegenöffentlichkeit, eigener Netzwerkbildung und als Kommunikationsmittel mit sie unterstützenden westlichen Ländern.
Cyberfeminismus ist eng verknüpft mit Gendertheorien, mit den Fragen der Konstruktion von Geschlecht. Claudia Reiche versucht, aus der